ALLES IST EIN WUNDER. EIN ARTISTENLEBEN
Dokumentation über die Varieté-Artistin Lucia Westerguard
Ein Film von Andrea Eckert A/2000, 32 Minuten, Farbe/SW
Eine Fischerfilm Produktion im Auftrag des ORF
Premiere 23.10.2002 - Viennale 02 (Stadtkino Wien)
Erstausstrahlung 5.Oktober 2000, Kunst-Stücke/ORF 1
Dieser Film handelt von dem Artistenehepaar Lucia und Dick Westerguard. Herr Westerguard ist 98, Frau Westerguard ist 87. Sie bewohnen einen Dachboden in der Wiener Innenstadt. Ihr gegenwärtiges Leben besteht darin, die Erfordernisse des Tages bewältigen zu können: 4 Stockwerke ohne Lift, Mindestpension.
Doch ihre Gesichter und Augen sind hell und wenn sie erzählen, dann nicht von den Beschwernissen des Alters, sondern von ihrer Arbeit im Zirkus und Varieté – Lucia und Dick waren Stars. Sie gingen mit ihren Nummern auf Reisen, die sie nach Zypern, Irland, in die Schweiz, nach Holland und Deutschland brachten. Dick Westerguard machte sogar eine Amerika-Tournee und trat 1927 als Boxer im Madison Square Garden auf.
Er stammt aus einer Hernalser Tischlerfamilie und schloss sich schon als Halbwüchsiger einem durchreisenden Zirkus an, wo er sein Handwerk als Artist lernte. Als er aus dem 2. Weltkrieg, durch einen Kopfschuss schwer verletzt, heimkehrte, hatte ihn seine Frau wegen eines englischen Besatzungsoffizieres verlassen. Durch die Verletzung verlor er sein Gehör und konnte mit seinem zersprengten Kiefer wichtige Nummern nicht mehr bewältigen. In diesem Zustand traf er Lucia und seither leben und arbeiten die beiden zusammen.
Lucia Westerguard wuchs im 1. Bezirk am Hof auf. Der Vater starb früh und Lucia arbeitete schon als Kind, trug vor der Schule Milch aus, am Nachmittag half sie in diversen Geschäften. Trotzdem ließ sie sich nicht von ihrem Traum abbringen und bildete sich zur Tänzerin aus. Nach ihrer Heirat mit einem Bürgerlichen und der Geburt ihrer Tochter Elfi findet sie Arbeit beim Zirkus Hagenbeck, im damaligen Kabarett Renz.
Im zweiten Weltkrieg stirbt ihr geliebter Bruder an den Folgen eines ausführlichen Gestapo-Verhörs und ihr kleiner Sohn Rudi am zu langen Aufenthalt im Luftschutzkeller. Das Renz brennt ab; ihr Mann ist längst gefallen, ihre grosse Liebe, der Sattlermeister vom Zirkus geht nach Dresden sterben, ihre Wohnung wird von freundlichen Nachbarn ausgeräumt; Lucia haust in einem ausgebrannten Wohnwagen des Zirkus Hagenbeck.
So trifft sie auf Ihren jetzigen Mann – keine grosse Liebe, dafür fehlt beiden die Kraft, aber eine Schicksalsgemeinschaft. Es gelingt ihnen, wieder eine Existenz aufzubauen, mit ihrer Nummer Engagements zu finden, sie gehen auf Reisen, sie arbeiten im Zirkus, in Varietés, bei Veranstaltungen und in Nachtlokalen. So lange, bis Dick während eines Auftritts die Kräfte verlassen.
Seither tritt Lucia solo auf. Mit ihrem Saxophon. Auf der Strasse. Ihr Mann ist ihr treuester wenn auch tauber Zuhörer.
Von all dem erzählen die beiden während unseres viertägigen Gesprächs und von vielem anderen. Das "was" ist oft wichtiger als das "wie" – wie sie dieses Leben überlebt haben ohne eine Funken von Bitterkeit, ohne Anklage. Mit einer Würde, die sie nie verläßt und mit der grossen Liebe zum Spektakel, zum Auftreten, zum Zirkus.
Wir drehten an verschiedenen Motiven: in ihrer Wohnung und im Zirkus Knie, begleiten sie am Heldenplatz auf ihrem Weg in die Stadt und auf einer Parkbank in der Wintersonne sitzend, verlassen sie schließlich im Volkstheater, in dem beide vor 50 Jahren aufgetreten sind. Hier wird Lucia für ihren Mann Saxophon spielen, sie beschreiben ihre Nummer von damals und Lucia erzählt von ihrem grossen Traum, von ihrer letzten Nummer im Zirkus.
Statement Andrea Eckert
Ich habe Lucia Westerguard im Sommer 1999 kennengelernt. Wir kamen auf der Strasse miteinander ins Gespräch. Dieses Gespräch, dem viele weitere folgten, brachte mich auf die Idee, einen Film über sie und Ihre Erlebnisse zu drehen. Er ist eine Hommage an eine ungewöhnliche und tapfere Frau und ihre Kraft, dem Leben immer wieder Wunder abzuringen.
Producer-Statement Markus Fischer
Als mir Andrea Eckert ihre Idee, einen Film über die Westerguards zu drehen, erzählte, war ich von Anfang an begeistert. Es gab in den letzten Jahren mehrere Versuche, die Westerguards zu porträtieren. Andrea Eckert hat Frau Westerguard offenbar sowohl persönlich, als auch mit ihrem klaren Konzept überzeugt. Mir war klar, dieser Film muss gemacht werden und ich war sofort bereit die Dreharbeiten zu realisieren.
Dank Christian Riehs, Kunst-Stücke, und Dr. Heide Tenner ist es uns auch gelungen die Produktion zu finanzieren. Andrea Eckert hat mit ihrem Debutfilm gehalten, was sie versprochen hat: ALLES IST EIN WUNDER ist ein wirkliches Kunststück.
Pressestimmen
Fürstin für 60 Groschen
Demut ist, gerade im Dokumentarfilm, eine Mindestanforderung. Als Autor vor einem Sujet auch zurücktreten zu können, ist eine Tugend, ohne die man mit dem Filmemachen besser gar nicht erst anfängt. Die erste Regiearbeit der österreichischen Schauspielerin Andrea Eckert, das an sich konventionell inszenierte Porträt eines Wiener Ehepaars, überraschte wenigstens in dieser Hinsicht, in seinem Interessse für das Unspektakuläre.
Das Thema lohnte sich. Der halbstündige Film, genannt "Alles ist ein Wunder", dokumentierte das abenteuerliche Leben zweier weitgereister Zirkus- und Varieté-Artisten von einst: Lucia und Dick Westerguard, heute 87 und 98, Wiener Mindestpensionisten, erzählen von glanzvollen und unglücklichen Tagen, von Straß-Kostümen, vom verwüsteten Wien und vom Taborkino, wo sich Lucia für 60 Groschen einen Logenplatz leistete, um sich "wie eine Fürstin" fühlen zu können. Die Inszenierung begnügte sich mit schlichten Bildern, ließ Erik Saties zarte Musik stellvertretend mitfühlen, während vor allem die alten Photographien und Programmhefte von einem vergessenen Akrobatenleben kündeten.
Heute spielt Lucia auf der Straße Saxophon, ungebrochen optimistisch, und noch immer träumt sie vom Zirkus - und von einem Buch, dem großen Roman ihres Lebens. Ins Wiener Volkstheater schließlich führte Andrea Eckert, Bühnenstar von heute, zwei Darsteller von gestern: Alles ist ein Wunder, wenn man genau hinschaut, das "Alltägliche" sowieso. In den ohnehin schon allzuweit geöffneten spätnächtlichen Rahmen der "Kunst-Stücke", zwischen Computerkunst, Cartoons und fashionablen Reportagen, hat dieser zerbrechliche kleine Film allerdings nicht gepaßt.
Die Presse
Credits
Buch & Regie Andrea Eckert
Kamera Roland Dunzendorfer
Ton Roland Freinschlag
Schnitt Michou Hutter
Post-Produktion Supervisor Kurt Hennrich
Filmgeschäftsführung Peter Donke
Archivrecherche Jochen Koll
Assistenz Erwin Nowak
Redaktion Christian Riehs
Produzent Markus Fischer
Musik Nino Rota, Erik Satie, Chet Baker
Fotoarchive Magistratsabteilung-13 Landesbildstelle Wien
Östereichisches Circus- und Clownmuseum
Historisches Museum Wien
Filmarchive Österreichisches Filmarchiv
Historisches Archiv ORF
Wir danken
André Heller
Louis Knie
Emmy Werner
Prof. Berthold Lang
Othmar Klein
Dr. Peter Dusek
Dr. Uta Tschernuth
Hergestellt von Fischer Film GmbH im Auftrag des ORF - Kultur